Schmetterlingsforum - Blog und Austauschplatform
Arethusana arethusa am Lauvet d’Ilonse
Erlebnisbericht
Es ist einer dieser seltenen Momente, wenn man sofort weiß, dass das soeben erlebte einzigartig ist und wohl nie wieder so erlebt werden kann. Da ich schon viele Jahre mit Schmetterlingen zu tun habe, sind schon so einige Erlebnisse dabei, die ich noch meinen Enkeln erzählen kann - jedoch wenige wie das heutige! Unser fünfter Urlaub im Mercantour ist dieses Jahr etwas später und beginnt erst in der letzten Juli-Woche. Wir unternehmen einige sehr beeindruckende Exkursionen in die höheren Lagen der südfranzösischen Seealpen. Jedoch wird kaum eine Exkursion so in unserem Gedächtnis haften bleiben wie jene am 5. August 2015 in Ilonse keine 5 km von unserem Feriendomizil entfernt!
Wir starten am Col de la Sine in 1438m Höhe, wo wir unseren Wagen abstellen. Dort fliegen noch sehr viele {{Arethusana arethusa}}. In der Literatur wird die Art bis ca. 1100m genannt und unsere Beobachtungen stammen auch eher aus dieser Höhenlage. Bei unseren Exkursionen in den letzten Tagen ist es meist der häufigste Falter, wenn wir in Höhenlagen um die 1200m unterwegs sind. Nicht selten schreiben wir 50 oder gar 100 Exemplare auf. „Wir“ heißt heißt in diesem Falle meine beiden Söhne Jeremy (13) und Marvin (20) und ich selbst - Ronny Strätling.
Die kleine Exkursion zum Lauvet d’Ilonse ist als Erholungsprogramm geplant, nachdem wir am Vortag eine sehr anstrengende und äußerst beeindruckende Exkursion mit vielen Höhenmetern zum Vallée des Mèrveilles unternahmen. Unsere Erwartung an den Tag am Lauvet ist nicht sonderlich hoch gesteckt; wir kennen das Gebiet bereits sehr gut. Wir hoffen, weil es immerhin auf knapp 2000m Höhe hinaus geht, noch einige Tiere zu finden, die zu dieser Zeit in den unteren Lagen bereits das Ende ihrer Flugzeit erreicht haben. Schon auf den ersten 200 Höhenmetern auf ca. 1600m wird klar, dass Arethusana arethusa auch hier noch der häufigste Falter ist. Am Ende kommen wir auf 57 Tagfalterarten, weshalb ich es mir erspare, eine vollständige Liste in diesen Bericht zu schreiben. Von den Großsatyrinae fliegen hier oben neben Arethusana arethusa noch {{Minois dryas}}, {{Hipparchia fagi}} sowie {{Hipparchia genava}} und noch einige {{Satyrus ferula}} und {{Satyrus actaea}}.
Unsere erste Rast machen wir am Col des Fourches bei 1560m Höhe. Hier fliegen noch so viele arethusas, dass ich beschließe, zwei Weibchen zur Eiablage mitzunehmen, weil ich noch ein paar Raupenaufnahmen für das Lepiforum machen will. Die ersten arethusas machen sich über die Rucksäcke, unsere Hüte und überhaupt alles her, was wir ablegen. Ein Indiz für unsere schweißtreibende Aktivität und die Vorliebe von arethusa für alles salzige und in unserer Blickweise auch eher übelriechende. Beängstigend ist das jedoch noch nicht - solcherlei Verhalten kennen wir schon aus den letzten Tagen bei unseren Exkursionen und unsere bisherigen innerfamiliären Wettkämpfe gipfelten darin, ein paar Tiere auf die Hand zu locken oder auch schöne scharfe Fotos von schweißbesessenen arethusas mit Kamera im Anschlag und größtmöglicher Tiefenschärfe zu machen. Allerdings macht uns die Höhe, in der wir die Tiere finden schon etwas stutzig.
Zunächst einige Habitataufnahmen vom Lauvet d'Ilonse in den Südfranzösischen Seealpen:
Ein schweißtrunkener arethusa lässt sich durch nichts mehr aus der Ruhe bringen! Wir wollen hier nun ein wenig abkürzen und knapp 200 Höhenmeter überspringen: wir befinden uns zwischen 1700 und 1800m Höhe am südöstlichen Hang des Lauvet d’Ilonse. Hier wird die Situation nun zunehmend beängstigender. Während wir durch den niederwüchsigen Rasen stapfen, der regelmäßig von Schafen beweidet wird, umflattern uns schon wahre Wolken von arethusas! Auf Schritt und Tritt ändert sich das Bild kaum. Es sind nun hunderte, tausende… Unmöglich zu schätzen, wie viele wir hier sehen. Das Bild ändert sich erst, wenn ein Patch mit Lavendel oder Disteln auf unserem Weg liegt. Dann sind es eben noch mehr und nur mit Mühe können wir die doch schon sehr beachtliche Anzahl von {{Zygaena carniolica}} und {{Zygaena fausta}} darunter registrieren. Wir bekommen es langsam doch mit der Angst zu tun. Eilig mache ich einige Habitataufnahmen. Dies muss wirklich die Idealausprägung eines Habitats für arethusa sein - und wie groß es ist. Das sind mindestens 8 qkm, die sich kaum bzgl. ihrer Eignung unterscheiden und wir wandern zwei mal quer durch das Gebiet durch. Ich mache mir erste Gedanken, wie man wohl die Tagespopulation schätzen könnte, komme aber zu keinem Ergebnis, weil die Lage mit Höhenmeter zu Höhenmeter aufregender wird! Unsere kurzen Pausen nutzen Scharen von arethusas, unsere Rucksäcke zu besaugen, uns selbst zu besaugen und samt und sonders alles, womit wir in Kontakt waren. Ich mache mir einen geistigen Vermerk, dass auch die Rucksäcke und Hüte einmal in die Waschmaschine müssten… Man muss nur etwas stillhalten und schon hat man 10 Tiere auf sich sitzen. Ich mache Fotos von arethusas auf unseren Netzen, auf den Hüten, an den Rucksäcken… saugend auf Mund, Nase, Ohren… einer will dauernd zwischen mein Auge und den Sucher der Kamera, vielleicht um einen besonders leckeren Saft vom Sucher der Kamera aufzunehmen. Was weiß ich! Jedenfalls muss ich in der Folge den Autofokus verwenden, denn das Tier lässt sich lieber zerdrücken, als dass es Reissaus nimmt. In der Höhe von ca. 1800m machen wir dann (überdrüssig der Rast und der aufdringlichen Störenfriede) eine noch beeindruckendere Beobachtung. Dort sind mehr noch als weiter unten größere Steine im Rasen und beim Vorbeigehen fliegen immer wieder Wolken von arethusas auf. Ich pirsche mich wahllos an einen dieser Steine an und hoffe, dass die Wolke nicht auffliegt, bevor ich ein Foto machen konnte von dem, was da saß. Es gelingt mir erst beim 5. oder 6. Anlauf, denn sobald ein Tier nervös wird, steckt es die anderen an und man sieht nur noch die flüchtende Wolke (ein Teil davon freilich sucht gleich drauf die Sauggelegenheit auf dem Hut, dem Bein oder am Sucher der Kamera). Tatsächlich! Es handelt sich um Ruhegemeinschaften auf der Schattenseite der Steine in ziemlich genau östlicher Exposition. Es gelingen mir Aufnahmen von Steinen, unter denen wohl über 50 Tiere rasten! Es sind viele solcher Steine - sehr viele! Nach einer Weile beginne ich wie ein Wahnsinniger schreiend und mit Pippi in den Augen zwischen den Steinen umherzulaufen und freue mich an den Wolken von Schmetterlingen, wie ich sie noch nie gesehen habe. Es dauert eine Weile, bis ich den doch wenig professionellen Ausbruch von Emotionen wieder unter Kontrolle habe. Das müssen Tausende sein, viele Tausende - unglaublich! An eine Populationsschätzung oder dergleichen denke ich schon nicht mehr; ich möchte dieses Erlebnis einfach nur erinnern (Wenn ich nur 10 Stück pro 25qm annehmen würde - lächerlich wenig, wenn ich es recht bedenke - dann wäre die Tagespopulation grob geschätzt > 3 Mio. Tiere).
Bis in die Höhe von 1900m ist dieses Bild (Wolken…) fast unverändert - es werden nur langsam weniger. Marvin schafft es trotz der Wolken noch auf den Gipfel bei 1992m und berichtet uns dann später, dass dort nur noch „wenige“ arethusas flogen. Es waren kaum mehr 5, die man dort in ständigem Blickfeld hatte. Da auch in der Höhe von 1900m noch recht viele flugunfähige Tiere mit verkrüppelten Flügeln zu Fuß unterwegs waren kann man schließen, dass zum einen die Larvalentwicklung auch dort stattgefunden haben muss und weiters wahrscheinlich ein Trupp Schafe die mutmaßliche Ursache für das häufige Auftreten solcher Tiere war. Der Rasen scheint aber trotz der häufig bodenfreien Stellen nicht überweidet zu sein. Das Blütenangebot ist mäßig aber ausreichend und die Gräser wachsen teils noch kniehoch.
Jeremy hat in einer Höhe von ca. 1800m aufgegeben und hat die Schlafgesellschaften nur in geringerem Ausmaß beobachten können. Als ich zu ihm stoße, suchen wir uns einen geschützten Platz, möglichst mit etwas Schatten, um eine Rast zu machen. Wir finden einen Bachgraben, der nur lückig bewachsen ist und reich mit Lavendel versorgt ist. Wasser fließt keines mehr. Am Lavendel sehen wir die üblichen Wolken von arethusas, was uns aber nicht mehr weiter verwundert. Wir haben endlich die Schuhe aus, die Netze hingeworfen, den Rucksack aufgemacht und wollen etwas essen und trinken. Dann aber überfallen sie uns regelrecht! Kaum liegt der Hut da, sitzen 12 arethusas dran. Kaum steht der Schuh da, sind es noch mehr. Am Netz sitzen - Widersinn! - die meisten! Vielleicht 20? Mehr? Es wurden mehr! Sehr viel mehr! Als Marvin zu uns stößt, entwickeln Marvin und Jeremy die seltsamsten Spiele um das Spektakel. Wer schafft es, auf jeden Finger einen Falter am Saugen zu haben? Kleinigkeit! Wem gelingt es mit 2 an jedem Finger? Schafft man es gleichzeitig auf jedem Ohr und der Nase einen zum Saugen zu bringen? Ja und nein! Von der Menge her kein Problem aber die Tiere haben ihren eigenen Kopf und setzen sich viel lieber überall dort hin, wo man sie eigentlich nicht so gerne hat. Man muss aufpassen, keinen zu essen, wenn man in sein Brot beißt und man muss aufpassen, wo man seinen Fuß hinstellt oder ob nicht zwischen Zeigefinger und Auslöser ein Tier sitzt, das sich dort bereitwillig zermatschen lässt… Am Sucher versuchen es inzwischen oft bis zu 3 Tiere gleichzeitig, einmal durchzusehen bzw. dort zu saugen. Bin ich froh, dass arethusas nicht stechen können und keine ansteckenden Krankheiten übertragen!!! Alfred Hitchcock hätte hier ganz besondere Inspiration erhalten und er hätte vielleicht „Die Schmetterlinge“ zu einem furchteinflößenden Gruselstreifen verarbeiten können! Mir jedenfalls kommt dieser Gedanke, als ich Marvin zusehe, wie er verzweifelt versucht ein Stück seines Fougasse zu verzehren. Denn ständig - und wie es scheint nicht zufällig - nimmt immer genau an der vorgesehenen Bissstelle ein arethusa Platz, um ebendort selbst zu saugen. Es sind ja schließlich Oliven drin mit Mineralstoffen, die ein tüchtiger arethusa-Mann ganz besonders nötig hat.
Beim Zusammenpacken sind wir tatsächlich etwas genervt von den anfliegenden Massen. Wir müssen sie richtiggehend vertreiben, um nicht versehentlich welche in der Fototasche oder im Rucksack einzusperren oder schlicht beim Packen unserer Gegenstände zu zerdrücken. Die Wolken um uns herum würden wir kaum noch wahrnehmen, wenn nicht zur Erinnerung immer wieder einzelne Exemplare versuchen würden, vorzugsweise aus unseren Ohren, den Nasenlöchern oder gar am Mund zu saugen. Ich verkneife es mir aus Gründen des guten Geschmacks, ein Foto eines auf der Zunge von Jeremy platz nehmenden Exemplars neben einem Foto mehrerer an Fuchskot saugender arethusas zu stellen. Ich zeige die Fotos also in einigem Abstand zueinander ;-).
Eine Tagespopulationsschätzung gelingt uns wie schon ausgeführt, noch nicht. Ich habe mehrfach versucht, an unterschiedlichen Stellen gedachte Transekte von 5m Breite Tiere zu zählen, um einen ungefähren Mittelwert zu schätzen. Das könnte man theoretisch auf die Fläche hochrechnen. Was aber wenn das Mittel dann bei 20 Faltern auf 25qm liegen würde? Wieviele Quadratkilometer sind das hier nochmal? Oha… das wird unglaubwürdig. Aber ich beschließe, eine kleine Publikation zu schreiben, um das Habitat, welches wohl das Optimum der Art trifft, genauer zu beschreiben. Beachtlich jedenfalls ist, dass die Art sich hier bis knapp in 2000m Höhe hervorragend bis explosiv entwickelt! Das ist für mich komplett neu und überraschend.
Nun noch einige Aufnahmen, die erahnen lassen, wie viele Falter wir gesehen haben (Für hochauflösende Fotos folgt dem Link unter den Bildern):
Und nun noch einige Fotos, die unseren Spaß bei dieser Exkursion verdeutlichen können:
Populationsschätzung
Methode
Um alle Höhenbereiche abzudecken, werden 10 Transekte in unterschiedlicher Höhenstufe mit je 200m Länge begangen. Es werden alle Tiere gezählt, die 2,5m links und rechts und bis zu 5m vor einem sitzen oder fliegen. Jeder Transekt wird sehr langsam durchschritten und nach sitzenden und fliegenden Faltern durchsucht. An Ruhestellen (Schattenseite der Steine) und an Saugstellen (Blüten und Schafkot) bleibe ich stehen und zähle alle Tiere, bevor ich weiter gehe. Wenn unvermittelt Tiere in großer Menge auffliegen, ist es oft erforderlich, diese Teilmengen grob zu schätzen, weil ein exaktes Zählen dann unmöglich ist. Beispielsweise tritt man an eine Ruhestelle, Schafkot oder eine Ansammlung von Blühpflanzen heran, die man vorher nicht bemerkt hat und alle Tiere fliegen auf, ohne, dass man exakt zählen könnte. Doppelzählungen können bei dieser Methode ebensowenig ausgeschlossen werden, wie das Übersehen sitzender oder vorbeifliegender Tiere. In Summe sollte sich das annähernd ausgleichen. Die Auswahl der Transekte erfolgte nicht nur repräsentativ für die Höhenstufen, die das Gesamtareal ausmachen, sondern es wurde auch versucht, die verschiedenen Habitattypen abzudecken. Insbesondere wurde das Angebot an Saugpflanzen berücksichtigt.
Ergebnisse
Es wurden 10 Transekte je 200m Länge begangen. Die höchsten Individuendichten fanden sich in der Höhe von 1650-1750m und an Stellen, an denen reiches Blütenangebot herrschte.
Transekt | Höhe | Anzahl | Blütenangebot | Beschreibung |
1 | 1560 | 96 | gut | Col de la Fourche. Hochgrasig. |
2 | 1615 | 143 | mäßig | Hinter Col de la Fourche. Grasig, flach. |
3 | 1650 | 171 | mäßig | Steinig, grasig |
4 | 1665 | 176 | mäßig | wie 3 |
5 | 1690 | 480 | sehr gut | Größere Polster des Winter-Bohnenkrauts |
6 | 1730 | 238 | kaum | wie 3 |
7 | 1790 | 177 | ohne | steinig, lückig grasig, mit viel Schafkot, Steine als Ruhegelegenheiten witterungsbedingt kaum besucht. |
8 | 1840 | 248 | ohne | steinig, lückig grasig, mit viel Schafkot, Steine als Ruhegelegenheiten witterungsbedingt kaum besucht. Vmtl. auch Larvalhabitat, viele Kopula. Weibchen bei der Ablage |
9 | 1900 | 239 | mäßig | wie 8 |
10 | 1730 | 403 | sehr gut | Bachbett (trocken) mit vielen Blüten und am Rand auch Schafkot, an dem die Tiere saugen |
Es wurden nun Klassen gebildet, die die Höhenstufe und das Blütenangebot grob charakterisieren. Diese wurden in ihrem Anteil an der Gesamtfläche grob geschätzt.
Mit der Zuordnung der Transekte zu diesen Klassen konnten die gezählten Werte besser auf die Gesamtfläche hochgerechnet werden.
Es wurde eine Gesamttagespopulation von 1,85 Mio Tieren ermittelt, was aber nur einen groben Anhaltspunkt liefert. Genau so grob und fehleranfällig ist die Hochrechnung auf die Gesamtpopulation, die wir vereinfacht mit dem Faktor 3 vornehmen. Somit flogen auf dem Lauvet d’Ilonse dieses Jahr größenordnungsmäßig 6 Mio Arethusana arethusa. Es können leicht mehr oder weniger gewesen sein, denn die Methode dürfte kaum eine ausreichende Genauigkeit liefern. Dennoch sollte die Größenordnung in etwa stimmen.
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Comments
Hallo Ronny,
Solche Erlebnisse sind einfach fantastisch, man vergißt sie nie mehr. Da kann man nur erahnen, wieviel Schmetterlinge es früher hier in Deutschlnd gab.
In Südtirol hatte ich auch mal so ein ähnliches Erlebnis, hunderte Mohrenfalter auf unserem Wanderweg.
Sie saßen in dicken Haufen an feuchten Erdstellen ;-)
VG Andreas