Die Geschichte der Entdeckung des Brombeer-Perlmuttfalters im Saarland
Freitag, 22. Juli 2004. Ein denkwürdiges Datum, das ich nicht mehr vergessen werde. Es ist der Tag, an dem mir der Erstnachweis des Brombeer-Perlmuttfalters ({{Brenthis daphne}}) im Saarland gelang!
7.30 Uhr.
Ein herrlicher Sommertag. Also ab in den Warndt, in den Wald des Forstreviers Ludweiler. Hier ziehe ich mit Steffen das mit 41 Probeflächen bisher größte saarländische Schmetterlingsprojekt durch: das „Modellprojekt Lichtwaldfalter Warndt“, so der hochtrabende Name.
10.30 Uhr.
Ich stehe in einer herrlichen Lichtung, voll mit blühendem Heidekraut, und beobachte, wie Kleine Feuerfalter ({{Lycaena phlaeas}}) und Garten-Bläulinge ({{Celastrina argiolus}}) eifrig an den Blüten saugen. Erstmals kann ich auch beobachten, wie die Weibchen des Garten-Bläulings an noch nicht aufgeblühten Knospen des Heidekrauts Eier ablegen. Häufig klickt der Verschluss meiner Fotokamera und ich habe Mühe, mich los zu reißen.
13.30, Probefläche Nr. 34.
Ein Waldweg nahe der Ortschaft Lauterbach. Eher zu dunkel, deshalb ist auch recht wenig los. Immerhin ein Schwalbenschwanz und mehrere Kaisermäntel – besser als nichts. „Nicht zu lange hier aufhalten“ schießt es mir durch den Kopf. „Andere, bessere Flächen warten.“ Da saust etwas Perlmuttfalterähnliches auf mich zu, in gut 2 ½ m Höhe. Als der Falter über meinem Kopf ist, reiße ich mein Netz hoch. Eine gelungene Rückhand-Überkopf. Es raschelt in der Gaze - ich habe ihn. Der Kerl ist mittelgroß. Wahrscheinlich also doch nur ein C-Falter ({{Polygonia c-album}}). Gleich weiß ich´s. Als ich ihn dann aber vorsichtig zwischen Daumen und Zeigefinger halte, stockt mir der Atem. Das ist doch nicht möglich!!!! Aber: Alles deutet auf eine Riesen-Sensation hin. Ein Männchen des Brombeer-Perlmuttfalters. Ein Falter, der noch nie im Saarland gefunden wurde. Ein Erstfund. Und meine erste Neuentdeckung eines Tagfalters!
Doch gleich kommen mir Zweifel. Könnte es vielleicht nicht doch nur ein Mädesüß-Perlmuttfalter ({{Brenthis ino}}) sein, der etwas seltsam gefärbt ist? Zur Sicherheit mache ich einige Dokumentationsfotos von Ober- und Unterseite. Per Handy melde ich Steffen den Sensationsfund: „mindestens 90 % Sicherheit!“ Ein echtes Highlight!
17.00 Uhr, Probeflächen 21 und 22.
Doch das ist noch nicht alles! Unmittelbar an der deutsch-französischen Grenze entdecke ich drei weitere Brombeer-Perlmuttfalter und kann erstmals – und in aller Ruhe - ihre Verhaltensweisen beobachten. Ein innerliches Hochgefühl stellt sich ein. Jetzt wird es langsam Zeit, nach Hause zu fahren. Und die vielen Erlebnisse des Tages in Ruhe zu verarbeiten, vielleicht auch ein bisschen zu feiern. Vorher werde ich noch ein schönes Foto von einer herrlich blühenden Lichtung (Probefläche 11) machen. Sie liegt ja am Weg.
18.00 Uhr, Probefläche 11.
Ich steige auf den Hochsitz. Er bietet eine prima Aufsicht auf die Fläche. Von hier kann man die Pflanzenstruktur hervorragend erkennen. Die Tür zur Kanzel klemmt. Mit einem Ruck stoße ich sie auf und bin drin. Jetzt die Luken öffnen, damit ich etwas sehen kann - doch dazu komme ich nicht mehr!
Beim Öffnen der Tür habe ich eine Schar Hornissen aufgeschreckt. Sie ruhten im Nest über der Tür. Jetzt fliegen sie in Panik in der Kanzel herum und können nicht heraus. Die Tür ist zu! Alles geht furchtbar schnell. Ich versuche noch eine Luke zu öffnen. Doch das gelingt mir nicht mehr. Überall sausen Hornissen herum. Sie krallen sich an mir fest. Ich spüre Stiche in den bloßen Armen und im Kopf. Wild fuchtele ich mit den Armen herum und versuche die Insekten abzuwehren. Jetzt nichts wie raus! Ganz vorsichtig die Stufen runter, ab ins Auto und sofort zum Arzt – solange ich noch kann.
18.45 Uhr, beim Arzt
Meine Schilderung vom Hornissenüberfall kann die Sprechstundenhilfe beim Arzt in Ludweiler nicht beeindrucken. Sie schiebt mich ins volle Wartezimmer. Mir schwellen die Arme, der Kopf - und schließlich auch der Kamm. Nach einer geschlagenen Dreiviertelstunde bin ich endlich an der Reihe. „Da hat sie´s ja bös erwischt“, meint der Arzt. „Sie haben etwa 20 Stiche, davon gut ein Dutzend am Kopf. Aber eine Allergie gegen Insektenstiche scheint ja nicht vorzuliegen. Denn dann wären sie schon im Wartezimmer umgefallen…“
Mit meiner mittlerweile doch eingeschränkten Orientierung muss ich dann noch im Nachbarort Gersweiler in einer Notfallapotheke Mittel zur Neutralisation der Insektengifte besorgen. Vorsichtig fahre ich die fast 50 km nach Hause.
20.30 Uhr, zu Hause.
Ich bin völlig erledigt und falle sofort in einen Tiefschlaf. Den gesamten Samstag bin ich unfähig, irgendetwas zu unternehmen. Aber am Sonntag geht´s wieder ab auf die Piste. Wohin? Na, in den Warndt natürlich. Mit Thomas Brombeer-Perlmuttfalter beobachten…
Wie sagt man bei uns im Volksmund: Fünf Stiche töten einen Menschen, neun ein Pferd. Und wie viele töten Rainer Ulrich???
Rainer Ulrich
Diese Geschichte und 19 weitere finden sie in dem Buch
Rainer Ulrich: Schmetterlinge – entdecken und verstehen.
176 Seiten, über 202 Farbfotos. Mit 20 spannenden und amüsanten Schmetterlings-Erlebnissen. Kosmos-Verlag, Stuttgart. 16,99 €. ISBN 978-3-440-14529-6.
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